I am a Marathoner – der Chicago Marathon 2019
[Dieser Beitrag ist aus 2019]
Seit einiger Zeit lebe ich nun schon, im wechselnden Rhythmus, in meiner Heimatstadt Magdeburg und meiner neuen Wahlheimat Chicago.
Letztes Wochenende machte ich das, was man als neue Chicagoerin wohl mindestens einmal tun muss: ich bin den Chicago Marathon gelaufen.
Die Teilnahme an diesem Marathon war nicht freiwillig bzw. nicht unbedingt ein Wunsch meinerseits.
Wie es also dazu kam, wie ich mich auf den Marathon vorbereitet und wie ich den Marathon-Lauf empfunden hatte, wirst du hier lesen.
Chicago Marathon – das Schicksal hat es so gewollt
Eigentlich habe ich Marathon Laufen abgeschworen. Nachdem ich nach meinem ersten Marathon, in Wellington, Neuseeland 2016, Probleme mit meinem Knie bekommen hatte, nahm ich nur noch an Halbmarathon-Läufen teil. Das hat auch wunderbar geklappt, ich hatte keine Schwierigkeiten und blieb dabei.
Vor einem Jahr hat mich mein Mann dann für den Chicago Marathon angemeldet. Er ist ebenfalls Marathoner und irgendwie war es ihm wichtig, dass ich den Marathon in meiner neuen Stadt mitlaufe.
Um für den Chicago Marathon ausgewählt zu werden, nimmt man an einer Lotterie teil. Man kann sich nicht einfach dafür anmelden, sondern kommt in einen Lostopf und hofft ausgewählt zu werden.
Wie das Schicksal es so wollte, wurde ich als Teilnehmerin des Chicago Marathons ausgewählt.
Ich konnte keinen Rückzieher machen, denn das liegt nicht in meiner Natur. Probieren ist alles. Wenn es dann nicht funktioniert, dann eben nicht. Aber probieren muss man es!
Das ist ein Glaubenssatz, den mir meine Mutter über Jahre hinweg eingetrichtert hat. Okay, hierbei ging es hauptsächlich um das Probieren von Speisen. 😀 Prinzipiell hatte sie aber recht und es lässt sich auf so ziemlich Alles im Leben übertragen.
Ich war froh, diese Chance bekommen zu haben und wollte mich ihr stellen.
Training und Orthopädie
Im Juni 2018 war ich beim Orthopäden, um die Sache mit meinem Knie abzuchecken. Das Problem war, dass ich nach einem längeren Lauf doch immer mal wieder ein Stechen im rechten Knie verspürte, welches nach einer Weile wieder abflaute.
Der Orthopäde stellte neben einem Senk-Spreizfuß (was gefühlt jeder hat, den ich kenne), eine leichte Verkürzung meines linken Beines fest. Er erklärte die Schmerzen damit, dass mein rechtes Bein diese Verkürzung ausgleichen muss und dadurch einer höheren Belastung ausgesetzt ist.
Ich bekam Einlagen, speziell an meine Füße angepasst, die zum einen die Verkürzung und zum anderen den Senk-Spreizfuß an jeder Seite anpassen sollten.
Es funktionierte und wurde besser.
Nach den beiden Halbmarathon-Läufen, die ich danach absolvierte, hatte ich keine Probleme mehr.
Da ich nie mit dem Laufen aufgehört hatte und zuvor auch den Portland Halbmarathon gelaufen bin, stand ich fest im Training.
Natürlich hatte ich noch ein Jahr Zeit, aber ich wollte es nicht auf die leicht Schulter nehmen.
So bin ich ebenfalls über die Wintermonate gelaufen. Normale 10-Kilometer-Läufe unter der Woche und immer einen längeren Lauf am Wochenende.
Alles war prima, mein Körper hat alles mitgemacht.
Rückschlag – das Knie schreit wieder auf
Im Juli bin ich dann zurück nach Deutschland geflogen. Zuvor bin ich in Chicago um die 26 Kilometer ohne Probleme gelaufen.
Leider hatte ich meine Laufschuhe inklusive meiner Einlagen in Chicago vergessen. So habe ich mir neue Schuhe gekauft.
Bereits der zweite Langlauf in Deutschland hat mich komplett aus der Bahn geworfen. Ich konnte 3 Tage lang nicht normal laufen, keine Treppen steigen und war mental ebenfalls am Ende.
Den Chicago Marathon kann ich wohl vergessen, dachte ich.
Doch irgendwie wollte ich nicht aufgeben. Ich sah mir Videos von Top-Marathon Läufern an und wollte wissen, warum es bei denen anscheint, so leicht war, einen Marathon zu laufen. Bei den meisten Läufern fiel mir auf, dass sie einen komplett anderen Laufstil hatten als ich.
Bisher kam ich mit meinem Fuß eher gerade auf dem Boden auf. Die meisten Spitzen-Läufer kommen aber mit den Fußballen zuerst auf.
Das musste ich ausprobieren. Zudem versuchte ich, etwas gesenkter zu laufen. Es klappte ohne Schmerzen im Knie, denn das Knie wurde damit weniger stark belastet. Zu Beginn war mein Tempo sehr langsam. Ich musste mich zunächst an diesen Laufstil gewöhnen.
Strategie ändern und neu anfangen
Okay, mit dem langsamen Tempo konnte ich leben, denn ich strebte nun kein bestimmtes Tempo für den Marathon an. Hauptsache Laufen und durchs Ziel kommen. Soweit hatte ich mein Ziel nach unten korrigiert.
Ich trainierte also allmählich wieder auf den Marathon, mit neuem Laufstil. Zunächst nur 6 Kilometer mit allmählicher Steigerung.
Ende August stand in Island der Reykjavik Marathon bzw. Halbmarathon an, für den mich mein Mann ebenfalls angemeldet hatte. Natürlich wollte ich auch diesen nicht sausen lassen.
Den Reykjavik Halbmarathon zu laufen, war also mein Zwischenziel. Durch meine Langläufe zuvor hatte ich ja bereits ausreichend dafür trainiert.
Der Halbmarathon in Reykjavik war super!
Mit neuem Laufstil und ohne Knieprobleme bin ich mit etwas mehr als 2 Stunden durchs Ziel gelaufen. Ich war stolz auf meinen Körper.
Die Zeit war zwar nicht meine beste, aber das war mir wirklich egal. Ich konnte wieder laufen und der Reykjavik Halbmarathon war Teil meines Trainings.
Von da an steigerte ich die Länge meiner Langläufe von Wochenende zu Wochenende. Ohne Zwischenfälle, ohne Probleme.
Ich muss zugeben, dass ich mich ziemlich beeilt und eventuell zu schnell an Kilometern zwischen den Langläufen aufgebaut hatte.
Das werde ich bei meinen nächsten Trainingsläufen nicht mehr so machen.
Wichtig ist, kontinuierlich und langsam auf die Kilometer zu kommen und den Körper stetig an die Belastung zu gewöhnen.
Chicago Marathon Expo – es gibt kein zurück
Dennoch war ich bereit, wenn auch ganz schön nervös. Ich hoffte, dass mein Körper den Belastungen von 42 Kilometern Lauflänge standhalten würde.
Nun war der Tag gekommen, an dem ich meine Bib-Nummer abholte und mein offizielles Chicago-Marathon-T-Shirt.
Die Abbott Health & Fitness Expo findet jährlich an 2 Tagen vor dem Marathon, im McCormick Place Convention Center statt. Hier bekommt man das Race Package und die Bib-Nummer für den Start.
Es ist im Süden Chicagos und etwas abseits gelegen.
Am besten erreicht man die Expo mit dem Red Line oder dem Green Line Zug (Chicago „L“).
Das Gelände selbst ist riesig und die Veranstalter zwingen die Teilnehmer bereits hier zu einem kleinen Marathon. ;)
So mussten wir viel laufen, um an den richtigen Ort zu gelangen.
Sicherheit wird in der Expo großgeschrieben. Bevor wir die Expo betreten konnten, wurden die Taschen kontrolliert und ein Body Scan durchgeführt.
Alles ist sehr gut durchorganisiert. Sobald ich in der Expo war, bekam ich sehr schnell meine Bib-Nummer und mein Race Package mit Beutel und T-Shirt.
Ein kleiner Fehler hatte sich bei meinen persönlichen Daten eingeschlichen. Auch das wurde innerhalb von 5 Minuten korrigiert.
Nachdem wir ein wenig durch das Expo Gelände geschlendert sind und hier und da etwas an Leckereien probiert hatten, sind wir wieder zurück nach Hause gefahren.
Jetzt hieß es den restlichen Tag und den Tag darauf relaxen. Das Training ist abgeschlossen. Ein / zwei Spaziergänge waren natürlich drin. Am Abend zuvor machten wir Pasta. 😉
Chicago Marathon – der Lauf durch 29 Nachbarschaften beginnt
Der Tag des 42ten Chicago-Marathons ist gekommen. Der Veranstalter war, wie jedes Jahr, die Bank of America.
Mit Slogans wie „Ich bin stark“, „Ich bin angstfrei“, „Ich bin bereit“, sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass jeder, der will, ein Marathoner sein kann.
Mein Marathon-Tag begann ziemlich früh. Ich benötigte etwa eine Stunde bis zum Marathon-Gelände im Grant Park, im City Center von Chicago.
So stand ich also um 4:30 Uhr auf. Duschen. Kaffee trinken. Müsli essen. Etwas aufwärmen. Bib-Nummer befestigen. Und los ging es.
Die Verkehrsmittel waren zahlreich vorhanden. Es fuhren sogar extra Busse bis zum Grant Park. Wir nahmen wieder die „L“ (den Zug).
Das Marathon Village im Grant Park
Die ganze Stadt war außer Rand und Band, so schien es mir. Überall waren Menschen, jedoch keine Autos.
Es war ein tolles Gefühl, auf dem sonst so viel befahren South Columbus Drive so viele Menschen zu sehen und unbeschwert darüber zu laufen.
Das Gelände auf dem Grant Park war riesig.
Auf meiner Bib stand neben einigen anderen Daten eben auch mein Start Block.
Der Marathon war gestaffelt in verschiedenen Startzeiten (Waves), da über 45.000 Läufer nicht gemeinsam starten können.
Die Start Wave bezieht sich auf dein angegebenes Tempo bei der Marathon-Registrierung.
Ich startete erst gegen 8:30 Uhr. Alles ganz entspannt.
Genug Zeit, um den Beutel mit einigen persönlichen Sachen für später abzugeben. Genug Zeit, um die Örtlichkeiten aufzusuchen. Genug Zeit, um sich nochmal zu stärken. Und, genug Zeit, um sich aufzuwärmen und zum Startbock zu laufen.
Die Stimmung im Startblock war super. Das lag vor allem auch an der Musik und an den großen Bildschirmen, auf denen wir die Läufer sehen konnten, die bereits unterwegs waren. Unter anderem eben die super schnellen afrikanischen Spitzenläufer. Ein weiterer Motivationsschub. Jeder wollte endlich loslaufen!
Das Wetter war sehr schön! Ziemlich kalt, aber mit viel Sonnenschein.
Der Chicago Marathon ist dafür bekannt, dass alles an Wetter möglich ist: Schnee, Regen, Wind, Minustemperaturen, Hitzewelle usw. Dieser Tag – der 13te Oktober 2019, war perfekt!
Ich hatte mir von meinem Mann einen Hoodie geben lassen, mit der Erlaubnis, ihn kurz vor dem Start wegzuwerfen.
Alles, was die Läufer an Klamotten wegwerfen, wird von den Volontieren eingesammelt und an gemeinnützige Organisationen gespendet. Die ganze Straße war voller Klamotten. 😀
29 Nachbarschaften in 26 Meilen
Es ging los. Mit gefühlt 1000 anderen Leuten zählte ich gemeinsam von 10 auf null runter und hörte den Startschuss. Mein Chicago Marathon begann!
Es war ein unglaubliches Gefühl, zunächst durch die Häuserschluchten der Innenstadt zu laufen. Überall waren Menschen, die einen fröhlich anfeuerten.
Mein Mann lief selbst nicht mit. Er ist den Chicago Marathon bereits vor einigen Jahren gelaufen. Sein Job war es, mich anzufeuern, zu unterstützen und mein Frühstück am Morgen vorzubereiten. Er machte einen tollen Job! 😉 Während des Race habe ich ihn etwa 3 Mal am Straßenrand getroffen.
Der Lauf lief direkt durch die Nachbarschaft, in der ich wohnte. Aber auch durch 28 weitere Nachbarschaften.
Es ging durchs Schwulenviertel Boystown, Chinatown, Greektown, vorbei am Lincoln Park Zoo, am mexikanischen Vierteln, am afroamerikanischen Viertel und so vielen mehr.
Dadurch wirkte die Metropolen-Stadt Chicago gar nicht wie eine riesige Stadt, eher wie viele kleine Dörfer, dicht aneinander gereiht.
Body Check – wie ging es mir
Die ersten 10 Meilen (ca. 16 km) waren schnell und machten Spaß.
Nach Meile 15 stellten sich nach und nach Schmerzen und Erschöpfung ein.
Ca. alle 50 Minuten nahm ich ein Energie-Gel zu mir. Dann ging es wieder für eine Weile.
Doch mit Meile zu Meile verlor meine Körper an Kraft. Am meisten tat mir der rechte hintere Oberschenkelmuskel weh. Keines der Knie – das war schon mal gut.
Ab und an hielt ich an, dehnte mich und massierte meine Beine.
Beim Chicago Marathon und einigen anderen amerikanischen Marathons wird ca. ab der 20. Meile Biofreeze und Bodyglide zu den Vorsorgestationen dazu gegeben.
Biofreeze ist ein Gel, welches die Schmerzen für einige Zeit lindert. Super effektiv – kann ich jedem empfehlen! Bereits auf der Expo gibt es dieses Gel in Probepackungen. Greif also zu!
Das war mein erster Lauf, bei dem ich komplett in Meilen rechnete, nicht in Kilometern. Daran kann ich mich gewöhnen. Denn die Meilenanzahl (26) ist geringer als die in Kilometern (42). Aus psychologischer Perspektive fand ich das angenehmer.
Nach Meile 24 gab ich nochmals Gas. 2 Meilen (3,2 km) kann ich definitiv unter Schmerzen aushalten. Das sind maximal 20 Minuten. Das stehe ich durch.
So war es auch.
Ich lief nach 4:23 Minuten im Grant Park durch die Finish Line.
Ein bestimmtes Gefühl hatte ich erst einmal gar nicht.
Meine Beine waren froh, nicht mehr weiter laufen zu müssen. Der Veranstalter plante es so, dass die Läufer nicht einfach stoppen, sondern noch eine ganze Weile weiter gehen müssen. Das macht natürlich auch Sinn und das tat mir auch gut. Stehen tat irgendwie mehr weh als gehen 😀
Wie ein Zombie setzte ich meinen Weg bis zum Pick-up meiner Sachen fort.
Erst nach einer Weile stellten sich bei mir die Gefühle von Erleichterung, Stolz, Befreiung und Freude ein.
Mein Fazit zum Chicago Marathon
Der Chicago Marathon war eines der besten Laufevents, an dem ich bisher teilgenommen hatte. Sicherlich liegt es vor allem an der Tatsache, dass er zu den großen sechs (great six) gehört. Bzw. gehört er eben gerade deshalb dazu – wie auch immer man es drehen will.
Die Organisation war auf jeden Fall mega gut. Es fehlte an nichts und ich kann mich über nichts beschweren.
Zudem empfand ich den Chicago Marathon als einer der schönsten Läufe bisher.
Die Strecke ist gerade und schnell und führt durch einige der besten Nachbarschaften Chicagos. Als Besucher definitiv eine großartige Möglichkeit, um die Stadt auf ihre Weise kennenzulernen.